Saufen bis zum Tod? Oder einfach aufhören?
Erkenntnisse, Erfahrungen, Perspektiven und meine eigene Geschichte

“Alkoholiker sind Menschen, die einfach nicht zivilisiert mit Alkohol umgehen können. Deshalb sollten sie die Hände ganz vom Alkohol lassen, oder sich selbst zu Tode saufen”
Ich denke, eine solche, oder ähnliche Auffassung hat sich in der breiten Masse der Bevölkerung durchgesetzt. Es stimmt, dass Alkoholiker vom sozialen Umfeld nur schwer, oder gar nicht zu ertragen sind. Es stimmt, dass sich Alkoholiker zu Tode saufen können. Es stimmt, dass all die, die es schaffen, gänzlich auf Alkohol zu verzichten, nie wieder ein Alkoholproblem haben werden. Alkoholiker haben das Mittel Alkohol in ihre Lebensabläufe fest eingebaut. Nimmt man ihnen ihr Mittel weg, so bricht für sie eine ganze Welt zusammen. Nicht nur dass der Körper verrückt spielt, auch der Lebenssinn scheint verloren zu sein. Für Alkoholiker bedeutet Abstinenz -aufs Liebste zu verzichten und das Leben völlig neu zu organisieren-. Wem fällt so etwas schon leicht? Darum brauchen Alkoholiker Verständnis und begleitende Hilfe. Einfache Ratschläge, wie “Höre doch endlich auf zu saufen” ,”Wenn du so weiter säufst…..”halfen da nur selten.
Es geht mir nicht darum, ein Übermaß für Alkoholmissbrauch einzufordern, ich bin nur der Meinung, dass man Alkoholismus in seiner Komplexität verstehen muss, um mit Betroffenen vorurteilsfrei, offen, ungehemmt reden und umgehen zu können.
Meine Geschichte:
Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit. Ich liebte meine Eltern und meine Eltern liebten mich. Rückblickend denke ich, meine Kindheit war völlig frei von Sorgen. Meine Eltern zeigten mir, wie schön Leben sein kann. Aber sie zeigten mir auch, dass die Lebensfreude und Lebenslust durch Alkohol gesteigert werden kann. Frühzeitig verband ich positives Erleben mit Alkoholkonsum,
Trinken aus familiären Anlässen. – Trinken in Kneipen, als eine Art Freizeitbeschäftigung. -usw. Da mir Alkohol immer wichtiger wurde, begab ich mich immer öfter an Orte, an denen Viele viel tranken. So entstand bei mir der Eindruck: “Ein Leben ohne Alkohol, das ist kein Leben” .Bald wurden für mich Freizeit und Alkohol zur untrennbaren Einheit. Es war eine Zeit, in der ich hemmungslos und ohne jeglichen kritischen Abstand Alkoholmissbrauch betrieb. Es war aber auch eine Zeit, die ich als überaus glücklich empfand und als solche in meiner Erinnerung gespeichert habe. Dass sich eine derartige Leichtlebigkeit irgendwann im Leben rächen könnte, kam mir nicht in den Sinn.
Ich kam mit meinem Leben, trotz Alkoholmissbrauch, vorerst recht gut zurecht. Ich erlernte einen Beruf, leistete meinen Grundwehrdienst ab, gründete eine Familie und hatte einen geglückten Berufseinstieg. Es vergingen viele Jahre, bis ich mich erstmals mit Kritiken zu meinem Trunkverhalten ernsthaft auseinandersetzen musste. Anfangs glaubte ich, es sei Neid. Neid auf mein scheinbar sorgenfreies Leben. Entsprechend waren meine Reaktionen; selbstsicher und überheblich. Erst als es mir selbst auffiel, dass mit meinem Alkoholkonsum etwas nicht stimmen konnte, war ich bereit, etwas weniger zu trinken. Das morgendliche Zittern meiner Hände war immer stärker geworden. Es fiel mir zusehends schwerer, den vollen Arbeitstag zu überstehen. Ich versuchte also, weniger zu trinken. Was aber ist weniger? Nur noch 6 statt 10 Bier pro Tag? Es funktionierte nicht. Meine Abhängigkeit verstärkte sich zusehends. Bald brauchte ich meinen morgendlichen Schluck aus der Pulle, um über den Tag zu kommen. Später hielt ich es ohne nachzutrinken kaum noch länger als ein, zwei Stunden aus. Saufen wurde zum Stress.
“Wer, wenn es einem so schlecht geht, nicht aufhört zu saufen, ist selbst Schuld.” Das klingt logisch, ist aber, wie schon eingangs erwähnt, für einen Alkoholiker nicht so einfach. Der Prozess des Übergangs, vom angenehmen Missbrauch, zur belastenden, unerträglichen Krankheit, verläuft schleichend. Irgendwann hält sich Freud und Leid die Waage. Spätestens dann, müsste man eine Entscheidung treffen. Eine Entscheidung zur grundsätzlichen Veränderung der Lebensform. Eine Entscheidung für Lebensinhalte, die der Stimulation durch Alkohol nicht bedürfen. Ich traf diese Entscheidung damals nicht. Ich konnte mir ein Leben ohne Alkohol nicht vorstellen. Außerdem hatte ich Angst, erkannt zu werden. Ich fuhr nun viele Jahre die Achterbahn, mal ganz oben und dann wieder ganz unten.
Aus einem Tiefpunkt, den ich heute nicht mehr nachvollziehen kann, entschloss ich mich zu einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus; mit dem festen Vorsatz danach weniger zu trinken und die Welt wäre wieder in Ordnung. Dass im Krankenhaus eine Entgiftung stattfand, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Nach zwei Wochen Krankenhaus geschah eine Wende. Ich merkte, dass es auch Vorteile hat, ohne Alkohol zu leben. Keine Entzugserscheinungen mehr. Das war auch schon viel wert. Mir wurde aber auch schmerzhaft bewusst, wie sehr meine Persönlichkeitsentwicklung durch den jahrelangen Alkoholmissbrauch gelitten hatte. Der Besuch eines Suchtberaters und die Einladung eine Selbsthilfegruppe zu besuchen, gaben meinem Leben die entscheidende Wende. Im Kreise von Gleichgesinnten, nach Inanspruchnahme von vielen Angeboten und nach Besuch von Seminaren, begann ich mein Leben neu zu organisieren. Immer wieder unterzog ich mein Verhältnis zum Alkohol einer kritischen Prüfung.
Heute geht es mir sehr gut. Ich kämpfe nicht mehr gegen den Alkohol. Ich glaube erkannt zu haben, dass all die Jahre nicht der Alkohol, sondern dass ich selbst mein Problem war. Meine Erfahrungen versuche ich an Andere weiterzugeben und erfahre immer wieder, dass es sich gelohnt hat. Ich kann jetzt akzeptieren, dass der Alkoholismus nicht wie ein Schicksal über mich hereinbrach, sondern, dass ich jahrelang versucht habe, meine Persönlichkeitsprobleme mit Alkohol zu korrigieren bzw. zu verdrängen. Ich habe mir meine Alkoholkrankheit durch leichtfertige Sauferei selbst eingebrockt. Dass manche Menschen trotz intensiven Alkoholmissbrauch nicht krank werden, ist für mich keine Rechtfertigung mehr. Ich beneide diese Menschen nicht.
Ich habe gelernt, für meinen Alkoholmissbrauch Verantwortung zu übernehmen. Ich habe mein Leben umorganisiert. Ich kann mir nicht vorstellen, meine Gesundheit durch gedankenlosen Alkoholkonsum zu gefährden. Ich lebe angstfrei. Dies stärkt mein Selbstvertrauen ungemein.
von Armin Reuther
